Spohr Schriften Heft 10Louis Spohr und das Horn Louis Spohr und das Horn Das Horn gehört zu denjenigen Instrumenten, zu denen Louis Spohr eine besondere Beziehung hatte. Zum ersten Mal schriftlich erwähnt er es in den Tagebüchern seiner Reise nach St. Petersburg. Bei der Beschreibung eines Konzerts im Steiner-Theater im März 1803 macht er auf eine Besonderheit der russischen Hörner aufmerksam und zeigt sich von ihrer Wirkung beeindruckt: „Das Orchester bestand aus 36 Violinen, 20 Bässen und doppelt besetzter Harmonie. Außer dieser waren zur Unterstützung der Chöre auch noch 40 Hornisten der kaiserlichen Kapelle da, von denen ein jeder nur einen Ton zu blasen hat. Sie dienten als Orgel und gaben dem Chorgesange, dessen Töne ihnen zugeteilt waren, große Festigkeit und Kraft. In einigen kleinen Solis waren sie von hinreißender Wirkung.“ (Louis Spohr, Lebenserinnerungen, Bd. 1, Tutzing 1968, S. 46) Die erste Komposition, in der Spohr selbst Hörner verwendete, stammt ebenfalls aus dem Jahr 1803. Es ist sein erstes Violinkonzert in A-Dur, op. 1, das auf seiner Reise nach St. Petersburg entstand. Auch bei seiner Brautwerbung kam das Horn zum Einsatz. Als er sich 1805 in Gotha in die junge Harfenistin Dorette Scheidler verliebt hatte, komponierte er für deren Mutter, eine Sopranistin des Hoftheaters, eine Konzertarie. Die Szene für Sopran und Orchester trägt den Titel „Oskar! Umsonst!“ (WoO 75) und im Orchester sind zwei Hörner besetzt. Die Führung der Hörner bewegt sich hier allerdings noch in traditionellen Bahnen. Beim Fürstenkongress in Erfurt hatte Spohr dann 1808 Gelegenheit, selbst als Hornist in Erscheinung zu treten. Er beschreibt das Erlebnis in seinen Lebenserinnerungen: „Im Jahre 1808 war zu Erfurt der berühmte Fürstenkongreß, bei welchem Napoleon seinen Freund, den Kaiser Alexander, und die deutschen Könige und Fürsten bewirtete. Alle Neugierige der Umgegend strömten hin, um die Pracht anzustaunen, die sich dort entfaltete. Auch ich machte in Gesellschaft einiger meiner Schüler eine Fußpartie nach Erfurt, weniger um die Großen der Erde, als die Größen d es Théâtre français, Talma und die Mars, zu sehen und zu bewundern. Der Kaiser hatte nämlich seine tragischen Schauspieler aus Paris kommen lassen und ließ jeden Abend eines der klassischen Werke von Corneille oder Raçine aufführen. Einer solchen Vorstellung hoffte ich nebst meinen Gefährten beiwohnen zu dürfen; leider erfuhr ich aber, daß sie nur für die Fürsten und ihr Gefolge stattfänden und jeder andre davon ausgeschlossen sei. Ich hoffte nun, durch Vermittlung der Musiker Plätze im Orchester zu finden, aber auch dieses schlug fehl, da denselben aufs strengste untersagt war, irgend jemand mit hineinzunehmen. Endlich fiel mir der Ausweg ein, daß ich und meine drei Schüler an der Stelle ebenso vieler Musiker die Zwischenakte mitspielen und so der Vorstellung beiwohnen könnten. Da wir es uns etwas kosten ließen und die Musiker wußten, daß die Stellvertreter ihre Plätze genügend ausfüllen würden, so gaben sie ihre Zustimmung. Nun zeigte sich aber eine neue Schwierigkeit: es konnten nur drei von uns bei den beiden Violinen und der Viola plaziert[116] werden, und da keiner von uns ein andres Orchesterinstrument außer jenen spielte, so hätte einer zurückbleiben müssen. Da kam ich auf den Gedanken zu versuchen, ob ich nicht bis zum Abend so viel auf dem Horn erlernen könne, daß ich imstande sei, die Partie des zweiten Horns zu übernehmen. Ich ließ mir sogleich von dem, dessen Stelle ich einnehmen wollte, das Horn geben und begann meine Studien. Anfangs kamen fürchterliche Töne zum Vorschein; doch nach einer Stunde gelang es mir schon, die natürlichen Töne des Horns zur Ansprache zu bringen. Nach Tische, während meine Schüler spazierengingen, erneuerte ich im Hause des Stadtmusikus meine Übungen, und obgleich mir die Lippen sehr wehe taten, so ruhete ich doch nicht eher, als bis ich meine Hornstimme der allerdings leichten Ouvertüre und der Zwischenakte, die am Abend gespielt werden sollten, fehlerlos herausbringen konnte. So vorbereitet schloß ich mich nebst meinen Schülern den andern Musikern an, und da jeder sein Instrument unter dem Arme trug, so kamen wir auch unangefochten glücklich zu unsern Plätzen. Wir fanden den Saal, in welchem das Theater aufgeschlagen war, schon glänzend erleuchtet und mit dem zahlreichen Gefolge der Fürsten angefüllt. Dicht hinter dem Orchester befanden sich die Plätze für diese selbst. Bald nachdem der fähigste meiner Schüler, dem ich die Leitung der Musik übertragen und dessen Direktion ich mich selbst als neugebackner Hornist untergeordnet hatte, das Orchester hatte einstimmen lassen, erschien der Kaiser mit seinen Gästen, und die Ouvertüre begann. Das Orchester bildete, mit dem Gesicht nach dem Theater gekehrt, eine lange Reihe, und es war jedem Mitwirkenden streng untersagt, sich umzukehren und die Fürsten neugierig zu betrachten. Da ich davon im voraus unterrichtet war, hatte ich einen kleinen Spiegel zu mir gesteckt, mit dessen Hülfe ich, sobald die Musik geendet hatte, unbemerkt die Lenker der europäischen Geschicke, einen nach dem andern genau betrachten konnte. Bald zog mich indessen das vortreffliche Spiel der tragischen Künstler so ausschließlich an, daß ich den Spiegel meinen Schülern überließ und meine ganze Aufmerksamkeit dem Theater zuwandte. – Bei jedem de folgenden Zwischenakte mehrten sich aber die Schmerzen an meinen Lippen, und nach Beendigung der Vorstellung waren sie so angeschwollen und wund geworden, daß ich kaum zu Abend essen konnte. Selbst am andern Tage bei der Rückkehr nach Gotha sahen sie noch sehr negerartig aus, und meine Frau war daher nicht wenig erschrocken, als sie mich wiedersah; fast aber noch mehr stutzte sie, als ich ihr scherzend sagte, es komme das vom vielen Küssen der Erfurterinnen!“ (Louis Spohr, Lebenserinnerungen, Bd. 1, Tutzing 1968, S. 116f.) Auch in seinen Kompositionen wird die Verwendung des Horns nun interessanter. Im zweiten Klarinetten-Konzert in Es-Dur (op. 57) aus dem Jahr 1810 bekommen die Hörner nun auch harmonisch führende Aufgaben. Im zweiten Satz leiten sie eine Modulation ein. Am Beginn des dritten stellt Spohr Solo-Hörner und Solo-Pauken gegenüber. Wirklich solistisch setzt Spohr das Horn dann in den Kompositionen seiner Wiener Zeit (1813 bis 1816) ein. Dabei spielte der Tuchfabrikant Johann Tost eine nicht unwesentliche Rolle. Er handelte aus, dass Spohr ihm die Manuskripte aller in Wien komponierten Kammermusikwerke gegen ein bestimmtes Entgelt für jeweils zwei Jahre überließ. So wollte er sicherstellen, dass er bei allen Aufführungen zugegen war, und er erhoffte sich davon die Möglichkeit, bei diesen Gelegenheiten lukrative geschäftliche Kontakte knüpfen zu können. Als erstes regte er die Komposition eines Nonetts an, bei dem Spohr den individuellen Charakter jedes einzelnen Instrumentes bei seiner Komposition herausarbeiten sollte. So entstand das Nonett op. 31 für Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass, Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott und Horn – und damit die erste Komposition, die Spohr für solistisches Horn schrieb. Ein Höhepunkt seiner Wiener Kompositionstätigkeit war aber sicherlich das Oktett op. 32. Clive Brown schreibt dazu: „Das vielleicht beieindruckendste der Kammermusikwerke, die Spohr in seinem letzten Jahr in Wien komponierte, ist das Oktett in E-Dur (op. 32), ein würdiges Gegenstück zum Nonett des Vorjahres. Es ist mit Klarinette, zwei Hörnern, Violine, zwei Bratschen, Cello und Kontrabass besetzt. Die Instrumentierung wurde vom Spiel des Klarinettisten Joseph Friedlowski und des Hornisten Michael Herbst aus dem Orchester des Theaters an der Wien inspiriert (Spohr konnte sich an den Namen des zweiten Hornisten nicht erinnern, als er seine Memoiren zu Papier brachte). Die Wahl von zwei Bratschen anstelle von zwei Geigen scheint gezielt getroffen worden zu sein, um dem weichen Klang der beiden Hörner und der Klarinette (deren tiefes Register Spohr in einer Weise einsetzte, die in dieser Zeit kaum ihres Gleichen findet) zu entsprechen.“ (Clive Brown, Louis Spohr. Eine kritische Biographie, Kassel 2009, S. 115) Auf Bitten Tosts, der sich davon Vorteile für eine Geschäftsreise nach England versprach, verwendete Spohr im Andante con variazioni Händels „Harmonius Blacksmith“ (Air aus der Suite Nr. 5, HWV 430). In der Bearbeitung für Horn und Klavier in diesem Band kann man einen Eindruck davon gewinnen, wie souverän Spohr inzwischen mit den solistischen Möglichkeiten des Horns umging. Auch in seinen weiteren Kompositionen spielte das Horn eine wichtige Rolle. In seiner vierten Sinfonie, der Programmsinfonie „Die Weihe der Töne“ übergab Spohr im Rahmen der Naturschilderungen des ersten Satzes dem Horn die Aufgabe, den Kuckuck nachzuahmen. Eine ungewöhnliche Verbindung, die auch den Zeitgenossen auffiel. In seiner siebten Sinfonie „Irdisches und Göttliches im Menschenleben“ überträgt Spohr dem Horn wieder bedeutende Aufgaben für das innerer Programm der Sinfonie. Auch Robert Schumann bemerkt das und schreibt in seiner Rezension dieses Werks: „In der Composition selbst nun offenbart sich des Meisters tiefes Gemüth in seiner ganzen, reichen Fülle, und spricht in den edelsten Tönen zu uns. In einem bedeutungsvollen Hornsolo, gleichsam wie vom göttlichen Segen eingeleitet, schildert uns der Componist in der anmuthigsten Weise die lachende, rosige Kinderzeit, voll froher, unschuldiger Spiele. Wie ist darin alles so harmlos, heiter und ungetrübt, wie wiegt und neckt und schäkert Alles durcheinander, und ist voll buntfarbiger Träume, wie ein glückliches Kinderleben. Und dazwischen das ernste und doch so milde und freundliche Lächeln des trefflichen Meisters, der in dem heraufgezauberten Bilde mit freudiger Wehmuth seine eigene Kindheit erkennt. Es ist dieser Satz in der That so voll Herzlichkeit, so voll Reinheit der Empfindung und aus der tiefen Seele herausgequollen, daß uns durch ihn allein der Schöpfer lieb und werth werden müsste.“ (zitiert nach Clive Brown, Louis Spohr. Eine kritische Biographie, Kassel 2009, S. 322f.) In diesem Band sind noch zwei weitere Beispiele für Louis Spohrs Umgang mit dem Horn versammelt: das Lied der Emma „Was treibt den Waidmann in den Wald“ (WoO 92), bei dem Spohr 1826 der Singstimme (die für diesen Band für ein zweites Horn bearbeitet wurde) ein solistisches Horn zur Seite stellte, und das Septett op. 147 für Klavier, Flöte, Klarinette, Horn, Fagott, Violine und Violoncello aus dem Jahr 1853, in dessen zweitem Satz (Pastorale. Larghetto) das Horn die Führung übernimmt./p> Titelabbildung: Verlag © ADB-Kassel, 2017 |