Spohr Schriften Heft 5Wolfram Boder (2014): Louis Spohrs Notturno in C-Dur für Harmonie- und Janitscharenmusik, das 1816 vom Musikverleger Peters in Leipzig als op. 34 erstmals veröffentlicht wurde, entstand im Juni 1815 für das Hautboistencorps von Johann Simon Hermstedt (1778–1846) in Sondershausen, also für ein Ensemble von Militärmusikern. Die Militärmusik spielte im Leben des großen Komponisten, Dirigenten,
Violinvirtuosen und Pädagogen Louis Spohr (1784–1859) in verschiedener
Hinsicht eine große Rolle. Am stärksten ausgeprägt war ihre Bedeutung
für den künstlerischen Alltag aber während seiner Zeit als
Hofkapellmeister in Kassel (1822–1857), wo Spohr selbst in seinem
Opernorchester auch Militärmusiker dirigierte. In seinen Lebenserinnerungen
schreibt Spohr über die Zusammensetzung dieses „bunten Orchesters“:
„Letzteres bestand zum Teil aus Zivilmusikern, zum Teil aus Mitgliedern
der Gardemusik. Unter diesen letzteren befanden sich sehr ausgezeichnete
Künstler, denen der Kurfürst ebenfalls wie den Zivilmusikern Anstellungsreskripte
auf Lebenszeit bewilligt hatte. Ich konnte es daher nicht mehr durchsetzen,
daß das Orchester, um die Kollision zwischen dem Militär- und Orchesterdienst
zu vermeiden, aus lauter Zivilmusikern zusammengesetzt werde. Wenigstens hoffte
ich aber den Übelstand zu beseitigen, daß die Militärmusiker in vollständiger
Uniform erscheinen mußten, was mir beim ersten Besuch des Theaters nicht
aufgefallen war. Aber auch dies gelang mir nicht, denn der Kurfürst erwiderte
auf meine Vorstellung, ‚es sei gegen die Militäretikette, daß ein Soldat
anders als in voller Uniform vor ihm erscheine’, und als ich noch hinzufügte,
die enge Uniform erschwere auch den Orchesterdienst, und die hohen Epauletts
machten es namentlich den Geigern ganz unmöglich, ihr Instrument so zu halten,
wie es sein müsse, so verfügte er lieber, daß den Musikern eine besondere,
bequeme Uniform ohne Epauletts für den Orchesterdienst verfertigt werde,
als daß er seiner Grille entsagt hätte. Auch meinen weiteren Vorschlag,
nun auch den Zivilmusikern dieselbe Orchesteruniform zu geben, verwarf er,
und so blieb dies buntscheckige Orchester zum Erstaunen aller Fremden, bis
1830 die Revolution in Hessen den jetzigen Kurfürsten zur Regierung brachte“ Insofern war Louis Spohr also nicht nur der Amtsvorgänger des heutigen Generalmusikdirektors des Kasseler Staatstheaters, sondern in gewisser Weise auch der des heutigen Leiters des in Kassel stationierten Heeresmusikkorps Kassel der Bundeswehr. Schließlich trug Spohr durch seine außerordentlich disziplinierte und vorbildliche Orchesterarbeit auch zur Hebung des musikalischen Niveaus der Kasseler Militärmusik bei. So schrieb er 1825 für die insgesamt 53 Trompeter der kurhessischen Armee einen Fackeltanz, der zur Vermählungsfeier der kurhessischen Prinzessin Marie mit dem Herzog von Sachsen-Meiningen aufgeführt wurde. Auch das hier vorliegende Notturno wurde ausdrücklich für Militärmusiker komponiert.
Spohr war mit dem Hautboistencorps in Sondershausen, dessen oberstem Dienstherrn
Fürst Günther Friedrich Carl I. von Schwarzburg-Sondershausen (1760–1837) die
Komposition auch gewidmet ist, seit langem verbunden. Der Kontakt war durch den
Gründer des Ensembles, den Klarinettisten Johann Simon Hermstedt zustande gekommen.
Hermstedt war im Winter 1808 bei den von Spohr in Gotha veranstalteten Abonnementskonzerten
als Solist aufgetreten und hatte mit seinem Spiel großen Eindruck gemacht, wie Spohr
in seinen Lebenserinnerungen beschreibt: „In einem dieser Konzerte trat Hermstedt, Direktor
der Harmoniemusik des Fürsten von Sondershausen, als Klarinettist auf und erregte durch
seine schon damals ausgezeichnete Virtuosität großes Aufsehen. Er war nach Gotha gekommen,
um mich zu bitten ihm ein Klarinettenkonzert zu schreiben […]. Ich ging auf diesen Vorschlag
ein, da mir die immense Fertigkeit, welche Hermstedt neben schönem Ton und reiner Intonation
besaß, volle Freiheit gewährte, mich ganz meiner Phantasie zu überlassen“ Spohr schrieb zwischen 1808 und 1828 insgesamt vier Konzerte für Klarinette und Orchester, die alle Johann Simon Hermstedt gewidmet sind. Dieser außergewöhnliche Musiker hatte das Hautboistencorps 1801 aus dem Fürstlichen Gardemusikkorps gebildet. Bei den von ihm veranstalteten Konzerten im Lohpark in Sondershausen spielten die Musiker in Militäruniform. Auch Johann Wolfgang von Goethe zeigte sich von Hermstedt und seinen Musikern beeindruckt, nachdem er sie 1816 in einem Konzert in Bad Tennstedt gehört hatte: „Der Musikdirektor Hermstedt von Sondershausen bläst die Klarinette vorzüglich. Er hatte die sämtliche Harmonie, d. h. über ein Dutzend blasender Künstler mitgebracht; sie machten ihre Sache gut.<“br> (Johann Wolfgang von Goethe, Brief an seinen Sohn August, 1816). Es verwundert also nicht, dass die Klarinette eine besonders tragende Rolle in dem Notturno spielt, das Spohr für dieses Ensemble komponierte. Sein virtuoser konzertanter Stil macht sich in den sechs Sätzen deutlich bemerkbar. Daneben ist aber auch der Einfluss seines großen Vorbilds Wolfgang Amadeus Mozart nicht zu überhören. Die Neuausgabe der Louis-Spohr-Stiftung macht dieses wundervolle Werk Spohrs nun in einer
praxisorientierten Edition in modernem Notensatz und mit zugehörigem Stimmenmaterial wieder
einer breiten musikalischen Öffentlichkeit zugänglich und ermöglicht es damit dem Kasseler
Heeresmusikkorps Kassel, sich nun auch im musikalischen Repertoire auf die bis Louis Spohr
zurückreichende große Traditionslinie dieses Ensembles zu beziehen. Das Bewusstsein für diese
Verbindung wurde besonders in den letzten Jahren durch die intensive und fruchtbare
Zusammenarbeit zwischen der Louis-Spohr-Stiftung und dem Heeresmusikkorps Kassel unter
der Federführung seines Leiters Oberstleutnant Reinhard Kiauka wieder geschärft. Ihm und
dem in Kassel beheimateten Heeresmusikkorps Kassel sei diese Ausgabe daher gewidmet. Titelabbildung: |
Verlag © ADB-Kassel, 2014 |