Spohr Schriften Heft 5

Wolfram Boder (2014):
Louis Spohr (1784 - 1859)“

Notturno für Harmonie- und Janitscharen-Musik op. 34



Louis Spohrs Notturno in C-Dur für Harmonie- und Janitscharenmusik, das 1816 vom Musikverleger Peters in Leipzig als op. 34 erstmals veröffentlicht wurde, entstand im Juni 1815 für das Hautboistencorps von Johann Simon Hermstedt (1778–1846) in Sondershausen, also für ein Ensemble von Militärmusikern.

Die Militärmusik spielte im Leben des großen Komponisten, Dirigenten, Violinvirtuosen und Pädagogen Louis Spohr (1784–1859) in verschiedener Hinsicht eine große Rolle. Am stärksten ausgeprägt war ihre Bedeutung für den künstlerischen Alltag aber während seiner Zeit als Hofkapellmeister in Kassel (1822–1857), wo Spohr selbst in seinem Opernorchester auch Militärmusiker dirigierte. In seinen Lebenserinnerungen schreibt Spohr über die Zusammensetzung dieses „bunten Orchesters“: „Letzteres bestand zum Teil aus Zivilmusikern, zum Teil aus Mitgliedern der Gardemusik. Unter diesen letzteren befanden sich sehr ausgezeichnete Künstler, denen der Kurfürst ebenfalls wie den Zivilmusikern Anstellungsreskripte auf Lebenszeit bewilligt hatte. Ich konnte es daher nicht mehr durchsetzen, daß das Orchester, um die Kollision zwischen dem Militär- und Orchesterdienst zu vermeiden, aus lauter Zivilmusikern zusammengesetzt werde. Wenigstens hoffte ich aber den Übelstand zu beseitigen, daß die Militärmusiker in vollständiger Uniform erscheinen mußten, was mir beim ersten Besuch des Theaters nicht aufgefallen war. Aber auch dies gelang mir nicht, denn der Kurfürst erwiderte auf meine Vorstellung, ‚es sei gegen die Militäretikette, daß ein Soldat anders als in voller Uniform vor ihm erscheine’, und als ich noch hinzufügte, die enge Uniform erschwere auch den Orchesterdienst, und die hohen Epauletts machten es namentlich den Geigern ganz unmöglich, ihr Instrument so zu halten, wie es sein müsse, so verfügte er lieber, daß den Musikern eine besondere, bequeme Uniform ohne Epauletts für den Orchesterdienst verfertigt werde, als daß er seiner Grille entsagt hätte. Auch meinen weiteren Vorschlag, nun auch den Zivilmusikern dieselbe Orchesteruniform zu geben, verwarf er, und so blieb dies buntscheckige Orchester zum Erstaunen aller Fremden, bis 1830 die Revolution in Hessen den jetzigen Kurfürsten zur Regierung brachte“
(Louis Spohr, Lebenserinnerungen, II. Band, Tutzing 1968, S. 128).

Insofern war Louis Spohr also nicht nur der Amtsvorgänger des heutigen Generalmusikdirektors des Kasseler Staatstheaters, sondern in gewisser Weise auch der des heutigen Leiters des in Kassel stationierten Heeresmusikkorps Kassel der Bundeswehr. Schließlich trug Spohr durch seine außerordentlich disziplinierte und vorbildliche Orchesterarbeit auch zur Hebung des musikalischen Niveaus der Kasseler Militärmusik bei. So schrieb er 1825 für die insgesamt 53 Trompeter der kurhessischen Armee einen Fackeltanz, der zur Vermählungsfeier der kurhessischen Prinzessin Marie mit dem Herzog von Sachsen-Meiningen aufgeführt wurde.

Auch das hier vorliegende Notturno wurde ausdrücklich für Militärmusiker komponiert. Spohr war mit dem Hautboistencorps in Sondershausen, dessen oberstem Dienstherrn Fürst Günther Friedrich Carl I. von Schwarzburg-Sondershausen (1760–1837) die Komposition auch gewidmet ist, seit langem verbunden. Der Kontakt war durch den Gründer des Ensembles, den Klarinettisten Johann Simon Hermstedt zustande gekommen. Hermstedt war im Winter 1808 bei den von Spohr in Gotha veranstalteten Abonnementskonzerten als Solist aufgetreten und hatte mit seinem Spiel großen Eindruck gemacht, wie Spohr in seinen Lebenserinnerungen beschreibt: „In einem dieser Konzerte trat Hermstedt, Direktor der Harmoniemusik des Fürsten von Sondershausen, als Klarinettist auf und erregte durch seine schon damals ausgezeichnete Virtuosität großes Aufsehen. Er war nach Gotha gekommen, um mich zu bitten ihm ein Klarinettenkonzert zu schreiben […]. Ich ging auf diesen Vorschlag ein, da mir die immense Fertigkeit, welche Hermstedt neben schönem Ton und reiner Intonation besaß, volle Freiheit gewährte, mich ganz meiner Phantasie zu überlassen“
(Louis Spohr, Lebenserinnerungen, I. Band, Tutzing 1968, S. 121).

Spohr schrieb zwischen 1808 und 1828 insgesamt vier Konzerte für Klarinette und Orchester, die alle Johann Simon Hermstedt gewidmet sind. Dieser außergewöhnliche Musiker hatte das Hautboistencorps 1801 aus dem Fürstlichen Gardemusikkorps gebildet. Bei den von ihm veranstalteten Konzerten im Lohpark in Sondershausen spielten die Musiker in Militäruniform. Auch Johann Wolfgang von Goethe zeigte sich von Hermstedt und seinen Musikern beeindruckt, nachdem er sie 1816 in einem Konzert in Bad Tennstedt gehört hatte: „Der Musikdirektor Hermstedt von Sondershausen bläst die Klarinette vorzüglich. Er hatte die sämtliche Harmonie, d. h. über ein Dutzend blasender Künstler mitgebracht; sie machten ihre Sache gut.<“br> (Johann Wolfgang von Goethe, Brief an seinen Sohn August, 1816).

Es verwundert also nicht, dass die Klarinette eine besonders tragende Rolle in dem Notturno spielt, das Spohr für dieses Ensemble komponierte. Sein virtuoser konzertanter Stil macht sich in den sechs Sätzen deutlich bemerkbar. Daneben ist aber auch der Einfluss seines großen Vorbilds Wolfgang Amadeus Mozart nicht zu überhören.

Die Neuausgabe der Louis-Spohr-Stiftung macht dieses wundervolle Werk Spohrs nun in einer praxisorientierten Edition in modernem Notensatz und mit zugehörigem Stimmenmaterial wieder einer breiten musikalischen Öffentlichkeit zugänglich und ermöglicht es damit dem Kasseler Heeresmusikkorps Kassel, sich nun auch im musikalischen Repertoire auf die bis Louis Spohr zurückreichende große Traditionslinie dieses Ensembles zu beziehen. Das Bewusstsein für diese Verbindung wurde besonders in den letzten Jahren durch die intensive und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen der Louis-Spohr-Stiftung und dem Heeresmusikkorps Kassel unter der Federführung seines Leiters Oberstleutnant Reinhard Kiauka wieder geschärft. Ihm und dem in Kassel beheimateten Heeresmusikkorps Kassel sei diese Ausgabe daher gewidmet.
Kassel, im April 2014
Wolfram Boder

Titelabbildung:
Kurfürstentum Hessen, Trommler und Hoboisten vom Leibgarderegiment, Hornist und Hoboist der Linieninfanterie, aus: Heinrich Ambros Eckert und Dietrich Monten, Das deutsche Bundesheer, München 1835–1843

Verlag © ADB-Kassel, 2014
www.adb-kassel.de
Spiralheftung, 102 + 4 Seiten
ISBN 978-3-9814991-5-5
Partitur EVP 35,00 €,
Stimmauszug (16 Einzelstimmen) EVP 10,00 €
Versandkostenpauschale komplett 6,00 €

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